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1. Der Sozialstaat, Rückkehr in eine düstere Vergangenheit
Die sogenannte „neue Grundsicherung“ ist nicht nur eine politische Umbenennung des Bürgergelds, sondern eine ideologische Kampfansage an das Konzept sozialer Absicherung. Sie folgt der gleichen veralteten Grundhaltung wie die Hartz IV Reformen: Menschen in Not müssen durch Druck zur Arbeit gezwungen werden – koste es, was es wolle.
Der Koalitionsvertrag kündigt schärfere Sanktionen, stärkere Mitwirkungspflichten und eine massive Einschränkung des Schonvermögens an. Besonders perfide: Wer als „nicht kooperativ“ gilt – ein Gummibegriff, der je nach Behörde anders ausgelegt werden kann – wird de facto aus der sozialen Sicherung ausgeschlossen. Das bedeutet: Strom, Miete, Lebenshaltungskosten – nichts davon wäre mehr abgedeckt. Eine solche Politik gefährdet Existenzen. Sie trifft alle, die sich nicht perfekt in die bürokratische Logik fügen können oder wollen.
Psychisch Erkrankte, die Anträge nicht fristgerecht abgeben. Alleinerziehende, die Vorstellungsgespräche absagen müssen, weil kein Kitaplatz frei ist. Menschen mit Migrationsgeschichte, die sprachliche Hürden beim Schriftverkehr haben. Sie alle werden unter Generalverdacht gestellt, entwürdigt und unter Leistungsdruck gesetzt.
Ein moderner Sozialstaat müsste das Gegenteil tun: Er müsste Vertrauen schenken, Sicherheit geben und Teilhabe ermöglichen. Doch CDU/CSU und SPD setzen auf Misstrauen und Kontrolle. Statt Armut zu bekämpfen, soll sie zur Abschreckung dienen. Es ist ein Rückfall in alte Zeiten mit verheerenden sozialen Folgen.
2. Wohnen, Wenn die Wohnung zur Ware verkommt
Wohnen ist eines der zentralen Gerechtigkeitsthemen unserer Zeit. Während Menschen in Großstädten für über 50 Prozent ihres Einkommens Miete zahlen, bleibt die Bundesregierung tatenlos. Kein Mietendeckel. Keine ernsthafte Begrenzung von Mieterhöhungen. Keine gesetzlich durchsetzbare Mietpreisbremse mit Sanktionen bei Verstößen. Die Marktlogik hat freie Fahrt.
Zwar kündigt der Koalitionsvertrag vage Programme für Wohnungsbau und Eigentumsförderung an, aber diese Maßnahmen helfen nicht jenen, die am dringendsten Schutz bräuchten. Sie helfen nicht dem Azubi in München, der trotz Vollzeitstelle im Auto schlafen muss. Sie helfen nicht der Rentnerin in Leipzig, deren Sozialwohnung privatisiert wurde. Und sie helfen nicht der Familie mit drei Kindern, die seit zwei Jahren keinen bezahlbaren Wohnraum findet.
Hinzu kommt die völlige Untätigkeit gegenüber spekulativem Leerstand. Während in vielen Städten tausende Wohnungen leer stehen, weil Investoren auf Wertsteigerung warten, müssen Menschen in Turnhallen wohnen. Diese Regierung schützt Eigentum, nicht das Recht auf Wohnen.
Ein Mietendeckel auf Bundesebene wäre möglich gewesen. Andere Länder tun es längst. Doch CDU/CSU blockieren jede Maßnahme, die Profite begrenzen würde. Und die SPD schweigt oder spielt mit.
3. Ehrenamt und Katastrophenschutz, Die stille Krise der Zivilgesellschaft
Ehrenamt ist kein „nice to have“. Es ist der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Ohne Freiwillige keine Feuerwehr auf dem Land, keine Tafeln in der Stadt, keine Nachbarschaftshilfe, keine Kulturvereine, keine Demokratieberatung. Doch während sich Politikerinnen und Politiker regelmäßig für das Engagement bedanken, fehlt jede substantielle Unterstützung.
Der Koalitionsvertrag nennt das Ehrenamt wie immer in einem Nebensatz. Aber was fehlt, sind konkrete Strukturen: Steuerliche Entlastungen, rechtlicher Schutz im Einsatz, Freistellungen von der Arbeit, Fahrtkostenerstattungen, finanzielle Mittel für Vereine und Weiterbildung. Ohne diese Maßnahmen bleibt Engagement ein Privileg für Menschen mit Zeit, Geld und Ressourcen.
Noch dramatischer ist die Lage im Katastrophenschutz. Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat gezeigt, wie schnell staatliche Strukturen an ihre Grenzen kommen. Doch die Konsequenzen werden nicht gezogen. Es fehlt ein nationaler Krisenplan, eine Zentralisierung von Ressourcen, der Ausbau digitaler Frühwarnsysteme, die Modernisierung des Technischen Hilfswerks.
Wenn der Staat sich weiter auf das unbezahlte Engagement Einzelner verlässt, wird das Ehrenamt früher oder später kollabieren. Und mit ihm ein zentraler Pfeiler unserer Demokratie.
4. Queere Menschen, Unsichtbar, vergessen und gefährdet
In Zeiten, in denen queere Menschen wieder verstärkt zur Zielscheibe werden – auf der Straße, in Schulen, in sozialen Medien – schweigt dieser Koalitionsvertrag. Kein Wort zu Gewaltprävention. Kein Wort zu queerer Bildungsarbeit. Kein Wort zu Gleichstellung.
Das Selbstbestimmungsgesetz – ein grundlegender Schritt für die Würde von trans und nicht binären Menschen – wird von CDU und CSU frontal angegriffen. Sie sprechen von „Identitätsverwirrung“, „Kinderschutz“ und „biologischem Geschlecht“, bedienen sich offener anti trans Rhetorik und speisen damit den rechten Kulturkampf. Die SPD, die das Gesetz einst mitgetragen hat, duckt sich weg.
Die Folgen sind fatal: Trans Jugendliche fühlen sich wieder allein. Queere Geflüchtete finden keinen Schutz. Regenbogenfamilien bleiben rechtlich benachteiligt. Gleichzeitig steigt die Zahl queerfeindlicher Straftaten von Jahr zu Jahr. Ohne politischen Rückhalt, ohne Schutzräume, ohne gesetzliche Gleichstellung wird das Leben für viele queere Menschen in Deutschland wieder unsicher.
Ein Koalitionsvertrag, der diese Lebensrealitäten ignoriert, ist nicht neutral – er ist Teil des Problems.
5. Der rechte Diskurs, Wer AfD Sprache übernimmt, verliert die Demokratie
Friedrich Merz hat es versprochen: Er wollte die AfD „halbieren“. Doch was ist passiert? Sie steht heute so stark da wie nie. Und das ist kein Zufall.
Denn anstatt klare inhaltliche Abgrenzung zu betreiben, übernimmt Merz deren Sprache. Wenn er über „kleine Paschas“ spricht, über „Sozialtourismus“ oder darüber, dass „Leistungsträger die Faxen dicke haben“, dann bedient er Narrative, die längst in den Echokammern der Rechten entstanden sind. Er macht rechte Begriffe salonfähig und bereitet damit den Boden für deren Normalisierung.
CDU und CSU tragen inzwischen aktiv dazu bei, dass demokratische Institutionen delegitimiert werden, dass Medien als „linksgrün“ diffamiert und soziale Bewegungen als „Spinner“ beschimpft werden. Die SPD schaut zu, aus Angst vor dem „bürgerlichen Lager“.
Doch wer den rechten Kulturkampf übernimmt, schwächt die Demokratie. Wer das Vertrauen in den Sozialstaat zerstört, schwächt den Zusammenhalt. Wer Geflüchtete instrumentalisiert, schwächt die Menschlichkeit.
Merz hat die AfD nicht halbiert. Er hat ihre Argumente verdoppelt. Und damit eine Tür geöffnet, die schwer wieder zu schließen sein wird.
Fazit: Es reicht
Der Koalitionsvertrag 2025 ist kein Fortschrittsprojekt. Er ist ein Dokument politischer Verweigerung. Eine Regierung, die Armut nicht lindert, sondern verschärft. Die Ehrenamt und Katastrophenschutz ignoriert. Die queere Menschen unsichtbar macht. Die Mieterinnen alleinlässt. Und die rechtsradikale Rhetorik normalisiert.
Doch das letzte Wort ist nicht gesprochen. Die Gesellschaft verändert sich nicht allein durch Parlamente. Sie verändert sich durch Widerstand, Solidarität, Bündnisse, Öffentlichkeit.
Jetzt ist nicht die Zeit für Resignation. Jetzt ist die Zeit, sich einzumischen. Für eine Politik, die nicht länger die Reichen schützt und die Schwächsten opfert. Für eine Gesellschaft, die nicht weiter gespalten wird. Für eine Zukunft, die nicht im Dienst der Märkte steht, sondern im Dienst der Menschen.
„Was wir brauchen ist keine Verwaltung der Ungleichheit, sondern eine radikal soziale Politikoffensive. Solange Profit über Menschenwürde steht, wird dieses Land weiter in Armut, Spaltung und autoritäre Kälte abrutschen.“
– Jason Osterhagen
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